Nur eine Handvoll Pharmaunternehmen entwickeln den Großteil neuer und dringend benötigter Arzneimittel für die Ärmsten. Das zeigt der aktuelle Access to Medicine Index.
(11.12.2018, Pharma-Zeitung.de)
Amsterdam, Niederlande, 20. November 2018 – Die Entwicklung neuer medizinischer Produkte, die für die Menschen in Entwicklungsländern höchste Priorität haben, konzentriert sich auf nur fünf Pharmaunternehmen und fünf Krankheiten. Das zeigt der Access to Medicine Index 2018, ein unabhängiges Ranking der 20 führenden Pharmaunternehmen. Er untersucht deren Bemühungen, den Zugang zu Medikamenten in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu verbessern.
GlaxoSmithKline steht nach wie vor an der Spitze des Index. Takeda steigt 2018 besonders steil um 10 Plätze auf Rang fünf. Novartis wird Zweiter vor Johnson & Johnson und der Merck KGaA. Das sind die Marktführer 2018. Diese vier Unternehmen machen, zusammen mit Sanofi (Rang 6), 39 Prozent der hochpriorisierten Forschung und Entwicklung aus.
„Die Tatsache, dass eine Handvoll Unternehmen den Großteil hochpriorisierter Forschung und Entwicklung trägt, zeigt, wie fragil die Situation ist. Ein Rückzug von nur einem dieser Unternehmen hätte erhebliche Auswirkungen“, sagte Jayasree K. Iyer, Geschäftsführerin der Access to Medicine Foundation. „Wenn sich mehr Unternehmen dieser Gruppe anschließen, würde das zu wesentlicher Entspannung führen.“
Der Index zeigt, dass sich das Engagement der Industrie auf nur fünf Krankheiten konzentriert. Die Hälfte aller Aktivitäten zielt auf die Bekämpfung von Malaria, HIV/AIDS, Tuberkulose, der Chagas-Krankheit und Leishmaniose ab.
Diese fünf Krankheiten stehen im Fokus globaler Gesundheitsinitiativen und haben internationale Geldgeber hinter sich. Jedoch haben die WHO und andere Organisationen insgesamt 45 Krankheiten identifiziert, die hohe Priorität für Forschung und Entwicklung haben.
Die Analyse zeigt, dass die Mehrzahl der hochpriorisierten Entwicklungsprojekte gemeinsam mit Forschungseinrichtungen des öffentlichen Sektors durchgeführt werden. Jedoch entwickeln einige Unternehmen wichtige Produkte auch ohne eine Förderung. Ein Beispiel ist die Merck KGaA, die Tests und Behandlungen von Bilharziose entwickelt, eine durch Wasser übertragene Parasitenerkrankung, an der etwa 252 Millionen Menschen leiden.
„Wenn sich die Gesellschaft der Prioritäten bewusst ist, hilft das, die Bemühungen der Branche zu konzentrieren“, sagte Danny Edwards, Forschungsleiter des Index. „Wir haben das bei unserer Analyse nicht nur im Bereich Forschung und Entwicklung nachgewiesen, sondern auch bei den Maßnahmen, die Unternehmen ergreifen, um Medikamente verfügbar zu machen, nachdem sie den Markt erreicht haben. Kurz gesagt: Wenn es einen Aufruf zum Handeln oder Spendengelder gibt, werden sich mehr Unternehmen engagieren, insbesondere in Bereichen mit geringem kommerziellem Potenzial.“
Dieser Fokus auf bestimmte Unternehmen und Krankheiten zeigt sich auch in anderen Aktivitäten, die wichtig sind für den Zugang zu Medikamenten: So sind beispielsweise nur wenige Unternehmen verantwortlich für die Einführung fairer Preisstrategien und für die Zugriffsplanung, solange sich Produkte noch in der Pipeline befinden.
Fortschritte der letzten zwei Jahre
Der Index untersucht die Unternehmen in sieben Bereichen, die wichtig sind für den verbesserten Zugang zu Medikamenten.
Insgesamt hat sich die Situation diesbezüglich positiv entwickelt: Drei Unternehmen haben seit dem Index 2016 neue Strategien festgelegt oder bestehende untermauert. Fünf Unternehmen bauen Absatzmodelle auf, die explizit Menschen in unterversorgten Gemeinschaften als Kunden abholen sollen. Gerade dort, wo die Konzerne eigene Patente führen, agieren sie besonders transparent. Das ist eine wertvolle Information gerade für internationale Arzneimittelbeschaffer. Strategien, mittels derer unterschiedliche Preise für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen eines Landes festgelegt werden, zielen heute mit mehr Sensibilität darauf ab, was sich die Menschen tatsächlich leisten können.
In einigen Bereichen wird jedoch immer noch zu wenig getan. Unternehmen passen beispielsweise ihre Preisstrategien, um die Erschwinglichkeit von mehr Produkten zu verbessern, hauptsächlich in
Schwellenländern an. Lizensierungsmodelle haben zwar die Herstellung und den Vertrieb von Generika-Behandlung für Menschen mit HIV/AIDS ermöglicht, jedoch können die Medikamente nur darauf und auf Hepatitis C, aber nicht auf andere Krankheiten angewendet werden.
Im Vergleich zu 2016 haben die Pharmaunternehmen heute mehr Projekte in der Pipeline mit Fokus auf globale Gesundheitsprioritäten. Seit dem Index von vor zwei Jahren sind mindestens 66 neue Produkte auf den Markt gekommen. Sie betreffen 14 Krankheiten, die im Index behandelt werden. Die Hälfte davon zielt auf Krebserkrankungen ab. Andere Beispiele sind:
- Drei neue Pillen, die alle sechs Haupt-Genotypen von Hepatitis C heilen können. Gilead hat freiwillige Lizenzvereinbarungen mit elf indischen Generika-Produzenten geschlossen, die die Herstellung und den Vertrieb von zwei dieser Produkte in 105 Entwicklungsländern ermöglichen. (Gilead und AbbVie)
- Eine kinderfreundliche Kautablette gegen den Rund- und Peitschenwurm, die derzeit geschätzte 795 Millionen Menschen befällt. Johnson & Johnson hat dafür bis 2020 ein Spendenprogramm von 200 Millionen Dosen pro Jahr zugesagt.
Merck in den Top 5, Bayer hinkt hinterher
Die Merck KGaA erreicht 2018 als eines der führenden Pharmaunternehmen den vierten Platz. 2016 wurde das Merck Global Health Institute gegründet, das sich der Entwicklung erschwinglicher und verfügbarer Therapien zur Behandlung von Infektionskrankheiten wie Malaria und Bilharziose verschrieben hat. Mit „Curafa“ hat Merck ein neues Modell eingeführt, mittels dem essenziell wichtige Gesundheitszentren in abgelegenen Regionen von Kenia aufbaut werden sollen. Außerdem hat sich das Unternehmen dem „NTD Drug Discovery Booster“ der Initiative „Drugs for Neglected Diseases“ (DNDi) angeschlossen.
Boehringer Ingelheim klettert von Rang 16 auf 14. Der Pharmakonzern hat eine neue Strategie für den Zugang zu Medikamenten erarbeitet und für mehr als 80 Prozent seiner Produkte eine faire Preisstrategie eingeführt. In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen wurden die Bedingungen zum Aufbau neuer Kapazitäten weiter entwickelt. So startet Boehringer Ingelheim 2018 das Programm „Reach in Africa“, mit dem die Gesundheit von Mensch und Tier in afrikanischen Ländern verbessert werden soll.
Bayer fällt auf den 16. Platz zurück und hinkt in verschiedenen Bereichen hinterher, unter anderem bei der Preisgestaltung. Das Unternehmen arbeitet weiterhin mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammen und spendet Medikamente für die Bekämpfung von zwei parasitären Tropenkrankheiten: die Chagas-Krankheit und die Humane Afrikanische Trypanosomiasis.
Krebserkrankungen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen rund 65 Prozent
In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, in denen derzeit rund 65 Prozent aller Krebstodesfälle verzeichnet werdenN, nehmen Krebserkrankungen zu. Zum ersten Mal untersuchte der Index die Bemühungen von Unternehmen, den Zugang zu Krebsmedikamenten zu verbessern. Der Fokus lag dabei auf den Arzneimitteln, die von der WHO als essenzielle Medikamente für das Gesundheitswesen angesehen werden. 72 solcher Produkte wurden bereits identifiziert. Novartis hat den größten Teil davon in seinem Portfolio, einschließlich der Hälfte der Krebsprodukte, die über eine Zugangsinitiative vermarktet werden.
Doch bleiben solche Initiativen für Krebsprodukte während der Forschungs- und Entwicklungsphase weit hinter denen für übertragbare Krankheiten. Es gibt Pläne für rund 5 Prozent der Krebsmedikamente, die sich in einem späteren Entwicklungsstadium befinden. Dem gegenüber stehen 54 Prozent der Medikamente im Bereich übertragbarer Krankheiten.
„Das öffentliche Gesundheitswesen hat in den vergangenen Jahrzehnten große Fortschritte gemacht. Alle von uns untersuchten Pharmaunternehmen ergreifen Maßnahmen bis zu einem gewissen Grad. Um jedoch die Lücken zu schließen, die beim Zugang zu Medikamenten klaffen, müssen wir mehr Unternehmen an einen Tisch bringen“, sagt Iyer.
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