Ordentlich durchgespült – BGH entscheidet über eine chlorhexidinhaltige Mundspüllösung
(09.11.2010, Pharma-Zeitung.de)
Der Bundesgerichtshof musste sich kürzlich mit der Verkehrsfähigkeit einer Mundspüllösung, die Chlorhexidin in einer Konzentration von 0,12 % enthält, auseinandersetzen. Ein Unternehmen vertreibt dieses Produkt als kosmetisches Mittel.
Der Wettbewerber des Unternehmens vertreibt ein ähnliches Produkt als Arzneimittel und es kam zu einer wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung durch die Instanzen. Nach Ansicht des Wettbewerbers handelte es sich bei der umstrittenen Lösung um ein nicht zugelassenes Arzneimittel, weil sie pharmakologisch wirke und sich aufgrund ihrer Verpackung und der Produktinformationen für den Durchschnittsverbraucher zudem als Arzneimittel darstelle. Das Landgericht Frankfurt a.M. hatte die Klage des Wettbewerbers jedoch abgewiesen, auch die die Berufung beim Frankfurter Oberlandesgericht blieb ohne Erfolg. Der BGH hat nun beide Entscheidungen aufgehoben.
Zunächst nahm der BGH zu der Frage Stellung, ob das Produkt bereits aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes ein Arzneimittel sei (sog. Präsentationsarzneimittel). Der Wettbewerber hatte argumentiert, dass der Durchschnittsverbraucher auf die therapeutische Zweckbestimmung des Mittels gerade durch die besondere Betonung des Umstands verwiesen werde, dass das Produkt der Beklagten bakteriellen Zahnbelag reduziere, dessen Neubildung hemme, das Zahnfleisch schütze und zur Erhaltung der Mundgesundheit beitrage. Der BGH hält diesen Umstand aber nicht für ausreichend, insbesondere weil das Produkt mit dem in Fettdruck besonders hervorgehobenen Verwendungszweck "zur Mundpflege" auf der Umverpackung gekennzeichnet sei und dieser nach der Lebenserfahrung darauf hinweise, dass es sich bei der Lösung lediglich um ein pflegendes Produkt handele. Gegenteiliges folge auch nicht aus der Verpackungsbeilage, wonach der Verbraucher bei Anwendung des Präparates mit Verfärbungen von Zähnen und Zunge zu rechnen habe. Ein solcher Hinweis könne nämlich nur dann zu einem Präsentationsarzneimittel führen, wenn der Verbraucher annehmen würde, dass er kosmetische Mundspüllösungen nebenwirkungsfrei und dauerhaft verwenden könne. Von einem entsprechenden Erfahrungssatz kann jedoch nach Ansicht des BGH nicht ausgegangen werden.
Dagegen hat das Berufungsgericht dem Präparat jedoch zu Unrecht die pharmakologische Wirkung und damit die Eigenschaft eines Funktionsarzneimittels abgesprochen, so der BGH. Im rechtlichen Ansatz habe sich das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Frage, ob die Mundspüllösung eine pharmakologische Wirkung hat, an die Definition des Begriffs "pharmakologisch" in der unter der Federführung der Europäischen Kommission entwickelten Leitlinie zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten "Medical Devices: Guidance document" orientiert. Es habe aber unberücksichtigt gelassen, dass die für die Bejahung einer pharmakologischen Wirkung erforderliche Wechselwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil (Rezeptor) gemäß der Definition des Begriffs "pharmakologisch" im Abschnitt A.2.1.1. dieser Leitlinie nicht nur dann vorliegt, wenn sie in einer direkten Reaktion (Antwort) besteht, sondern auch dann, wenn sie die Reaktion (Antwort) eines anderen Agens blockiert. Das Vorhandensein einer solchen Dosis-Wirkungsbeziehung stelle danach zwar "kein vollständig vertrauenswürdiges Kriterium" dar, es liefere aber immerhin "einen Hinweis auf einen pharmakologischen Effekt" (unter Hinweis auf Anhalt in Anhalt/Dieners, Handbuch des Medizinprodukterechts, § 3 Rdn. 8).
Die Leitlinie setze daher nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, eine unmittelbare Wechselwirkung mit "zellulären Bestandteilen des Anwenders" voraus, sondern lasse jegliche Wechselwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und "einem zellulären Bestandteil" genügen. Im Hinblick darauf, dass Chlorhexidin mit Bestandteilen von Bakterienzellen reagiert, scheide eine pharmakologische Wirkung entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch bei Anwendung der in der genannten Leitlinie vorgesehenen Definition der pharmakologischen Wirkung nicht schon von vornherein aus. Dementsprechend ordne die Leitlinie selbst Chlorhexidin im Abschnitt A.2.1.2 ausdrücklich als arzneilichen Stoff ein. Hinzu komme, dass der in der Mundspül-lösung enthaltene Stoff Chlorhexidin in der höheren Konzentration von 0,1% und 0,2% nicht nur die Bildung bakterieller Zahnbeläge unterdrücken könne, sondern nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen auch geeignet sei, unter anderem Gingivitis zu heilen oder zu lindern, so dass eine verändernde Beeinflussung von Körperfunktionen auf chemischem Weg vorzuliegen scheine. Unter diesen Umständen komme nach Ansicht des BGH eine pharmakologische Wirkung des Präparats in Betracht. Da sich das Berufungsurteil daher im Ergebnis als nicht zutreffend erweist, hat der BGH es aufgehoben. Das Berufungsgericht muss nun den Fall unter Berücksichtigung der Feststellungen des BGH neu entscheiden.
Im Ergebnis ist mit dieser aktuellen Entscheidung des BGH im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und anderen Produkten wieder einmal nichts gewonnen. Wenn der BGH in Anlehnung an die Europäische Leitlinie jegliche Wechselwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und "einem zellulären Bestandteil" für eine pharmakologische Wirkung genügen lässt, so bedeutet das keinesfalls eine Klärung des Begriffs der pharmakologischen Wirkung. Vielmehr lässt sich dann weiter darüber streiten, was unter einer „jeglichen Wechselwirkung“ zu verstehen ist. Die Entscheidung begünstigt letztlich nur diejenigen, die ein nicht als Arzneimittel zugelassenen Produkt vom Markt „schießen“ wollen, da der Begriff der pharmakologischen Wirkung eher weit als eng zu verstehen ist. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass der BGH sich ohne weiteres an der EU-Leitlinie zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten orientiert, ohne sich damit auseinanderzusetzen, ob die Kriterien der Leitlinie überhaupt richtig, sinnvoll oder hier anwendbar sind. Damit werden solche Leitlinien faktisch zu gesetzlichen Regelungen. Eine solche Entwicklung ist vor allem ein gefundenes Fressen für Lobbyisten, denn die Entstehung und Erstellung solcher Leitlinien ist in der Regel alles andere als transparent.
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